Die Frage ohne Antwort

Eltern hoffen, sich diese Frage nie stellen zu müssen: "Wohin mit den Kindern, wenn uns etwas passiert?"

Diesen Sommer durften wir unsere Beziehung wieder einmal als richtiges Paar wahrnehmen. Nur er und ich. Ohne Kinder, ohne Beruf, ohne Alltag. Wunderbar! Fünf Tage, vier Nächte - wie früher.

Nur dass eben nichts mehr so ist wie früher. Denn früher waren wir zu zweit, heute sind wir zu viert, auch wenn wir als Paar unterwegs sind. Wie man es auch dreht, die Kinder sind immer dabei. Denn wenn sie Nachwuchs bekommen, werden Eltern einer Verletzlichkeit ausgesetzt, die sie nicht mehr loslässt.

Die kleinen Wesen wollen beschützt werden, sie sollen nur das Beste bekommen. Und das Beste sind wir - die Eltern. Wir sorgen für ein Dach über dem Kopf, den vollen Teller, Ausbildung und vor allem geben wir diesen Kindern diese unbeschreibbare Liebe, von deren Existenz wir vorher gar nichts wussten. Was also, wenn uns Eltern auf dem Weg in unser egoistisches, romantisches Wochenende etwas passiert?

Diese Frage, die ich mir unter normalen Umständen nicht stelle, kriecht eines Nachts langsam und fies in mein Bewusstsein. Und wird sogleich in die Abgründe meines Gewissens verdrängt. Doch sie bleibt hartnäckig und kommt immer wieder an die Oberfläche, um mich daran zu erinnern, welche Verantwortung Kinder mit sich bringen.

Was doch alles passieren könnte: Das Flugzeug stürzt ab, wir landen mit dem Mietauto am Fusse eines bretonischen Felsen, die Austern sind vergiftet, wir werden überfallen und getötet. Der Fantasie sind in solchen Momenten keine Grenzen gesetzt.

Was, also, wenn wir nicht mehr wären? Ich will jetzt nicht die pathetische Diskussion führen, wie unsere Kinder den Verlust beider Eltern verarbeiten würden, sonst kommen mir die Tränen und ich sehe nicht mehr, was ich schreibe. Bleiben wir also sachlich: Wen würde ich auswählen, um meine Kinder in Zukunft zu betreuen, zu erziehen, kurz – zu lieben? Bei wem würden meine Kinder wohnen?

Die Grosseltern sind zu alt, Gotten und Göttis haben selbst fast alle Kinder und schlichtweg keinen Platz, um deren Anzahl zu verdoppeln. Ausserdem müsste man sie aus ihrem gewohnten Umfeld reissen, was der Trauerphase nicht gerade förderlich wäre.

Vielleicht haben Sie mich durchschaut. Ich suche nach Ausreden, um die eigentliche Frage nicht stellen zu müssen: Wer würde die Kinder genauso lieben wie wir? Und wen würden Sie genauso lieben wie uns? Kann man diese Frage beantworten? Kann sich eine Mutter, ein Vater überhaupt vorstellen, dass ihre/seine Kinder einmal die Kinder von jemand anderem werden? Dass sie Sonntagmorgens in ein anderes Ehebett steigen, um mit anderen Eltern zu schmusen? Jeden Abend einem anderen Vater mit „Papiiii!“ entgegenrennen? Und einer anderen Mutter ihren Kummer erzählen?

Vor ein paar Jahren, schickten wir ein Freundespaar in Urlaub und übernahmen ihre damals vierjährige Tochter und den dreijährigen Sohn für eine Woche. Dieses damals ebenfalls junge Paar scheute sich, im Gegensatz zu mir nicht, diskutierte die Frage zu Ende und beantwortete sie in einem Testament.

Das Internet steht natürlich auch hierfür mit Rat und Tat zur Seite. Uns Eltern wird geraten, ein formal korrektes Testament aufzusetzen, in welchem der Vormund festgelegt wird. Doch die Frage, wie ich einen geeigneten Vormund auswähle, beantwortet mir auch das World Wide Web nicht.

Bevor mein Mann und ich diesen Sommer wegfuhren, hätten wir vernünftigerweise ebenfalls ein Testament schreiben sollen. Doch wir konnten die Diskussion einfach nicht führen, da wir, beim Gedanken an unsere Kinder die fortan ohne Mami und Papi leben müssten, einen Kloss im Hals bekamen und nicht weiterreden konnten. Also liessen wir es darauf ankommen und hatten Glück, keine Un- oder Überfälle, keine vergifteten Schalentiere, alles ging gut. Gesund und munter durften wir sie fünf Tage später glücklich in die Arme schliessen. Bis auf ein nächstes Mal...

Was meinen Sie? Wie entscheidet ein Elternpaar, welche Personen gut genug für ihre Kinder sind? Gibt es überhaupt andere Menschen, die uns Eltern ersetzen können? Welchen Kriterien müssen sie gerecht werden? Könnten Sie diese Frage beantworten? 

Einen juristisch interessanten Kommentar findet ihr auf dem Blog von wir eltern.

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